
Tasting_forum 78: Mutig und Gut – Bio-Weinverkostung zu Georgi
Bio-Weinverkostung – Beim Tasting_forum 78 sollten die lieb gewonnenen „Gewohnheiten“ der Bio-Lebensmittelverkostungsserie ein wenig durchbrochen werden: Montag statt Dienstag, freies Motto statt strikter Lebensmittelkategorie, Sitzen statt Stehen, konventionelle Beteiligung statt 100 % Bio.
Den Montag bestimmte der Georg bzw. der Jürgen, die nun einmal heuer an einem Montag ihren Namenstag feierten. Die Legende um den mutigen und guten Georg gab dem Abend das Leitmotiv. Die Tafelrunde war im Punkt 404 einfach aufgelegt. Und schlussendlich: 1955 und 1959 war die Europäische Union schlicht und ergreifend noch nicht gegründet, folglich können die Weine aus dieser Zeit noch nicht EU-biozertifiziert sein. Auch nicht der St. Georgener – der genetische Vater des Grünen Veltliners. Der 420 Jahre alte Rebstock wurde erst kürzlich entdeckt. Ein biologischer Überlebenskünstler, der ohne menschliches (chemisches) Zutun, bestens im fruchtbaren Boden verankert, zahlreiche Kriege, Trockenheiten, Hitzen, Fröste, die Mehltauattacken und vor allem die Reblaus überlebt hat.
Das Himmlische wollten wir tunlichst aus der Bio-Weinverkostung heraushalten. Wir sind ja Bio und damit äußerst bodenverbunden. Das gelang uns gut und lange. Zwischendurch war es gar notwendig, von der Tafelrunde Toleranz und Offenheit gegenüber „fremden“ Geschmäckern einzufordern. Zu vorgerückter Stunde öffnete allerdings Jürgen Schmücking sein „altes Testament“, zuerst mit einem Schluck vom 1959 Nuits-Saint-Georges, danach eine intensivere Beschäftigung mit einem 1955er Nuits-Saint-Georges.
Die anfängliche andächtige Stille steigerte sich rasch zu jubilierenden Chören. Gut, dass uns zum Abschluss Voddoo Jürgens – quasi auch ein georgischer Namensvetter – mit dem Bio-Dopplereffekt wieder auf den Wiener Boden zurückholte: „I bin ka Drangla. Na, waun I sag. Owa a Zwara Vasn sauf I jeden Tag.“
Und weil diesmal auch die Nachbetrachtung ein wenig anders sein sollte, folgen nun die persönlichen Notizen von Jürgen Schmücking zur Bio-Weinverkostung: Mutig & gut. Die Weine des heiligen Georg:
Speckbirn Schaumwein, Kärnten
Ein Kärntner Weingut, bekannt für biodynamische Weine in der „vierten Weinfarbe“ und für Pinot. Kurioserweise einen der besten des Landes. Jetzt machen sie auch ein Birnending. Die Speckbirne aus einem 120jährigen Streuobst-Birnbaumbestand ist dem Cider recht nah, aber mit 9 % Alkohol als solcher gesetzlich nicht möglich. Also Speckbirn-Schaumwein. Rustikal und gerbstoffgetrieben ohne Ende und ein von prickelnder (nicht nur durch die Bläschen) Säure strotzender Schäumer. Schmeckt nicht jedem/r, ab jenen, den er schmeckt, schmeckt er maßlos gut.
St. Georgen, Burgenland
Cast away! Lange galt die zweite der Elternreben vom Grünen Veltliner als verschollen. Als „Mutter“ – die Wissenschafter würden sagen: ampelographischer Kreuzungspartner – wurde Traminer identifiziert. „Vater unbekannt“, was ja nicht nur bei den Rebsorten hin und wieder vorkommt. Vor zirka 15 Jahren wurde an einer alten Mauer in St. Georgen bei Eisenstadt ein 420 Jahre alter, überwucherter Rebstock gefunden. Der Rebeneremit stellte sich nach wissenschaftlichem Vaterschaftstest als die verloren geglaubte Rebsorte heraus, die einst zum Veltliner beitrug. Seit 2015 wird der Rebstock vom Verein zur Kultivierung der St. Georgener Rebe gehegt und gepflegt, die Trauben geerntet und Wein gekeltert.
2015 ist der erste Jahrgang. Homöopathische Dosen nur, knapp 300 Liter. Der Wein ist erstaunlich. Sauber, aber von kantigem Charakter. Kräftige Säure und einigermaßen nussig. Erinnert irgendwie an (die Rebsorte) Neuburger.
2017 ist der aktuelle Jahrgang. Frisch abgefüllt, noch etwas ungestüm und gar jugendlich. Blitzsauber, hefig und frisch.
Wenn man aber wissen will, in welche Richtung sich der Wein bewegen könnte, kommt man an 2016 nicht vorbei. Das ist schon richtig saftiger Stoff. Erste Reifenoten, erinnert in seiner würzigen Aromatik schon richtig an guten Veltliner. Man kann dem Projekt nur das Beste wünschen. Eine Bio-Zertifizierung hätte sich die superresistente Rebe verdient.
Chinuri, Georgien
Der Chinuri kommt von einem innovativer Bio-Betrieb, der sich seiner weinbaulichen Wurzeln sehr bewusst ist. Damit steht er für einen Weg, der das Weinland Georgien in eine spannende Zukunft führen kann. Auf der einen Seite werden, wie auch in vielen anderen Kellern und Weingärten in Georgien Amphoren aus Ton vergraben. Ganz nebenbei: das Vergraben der Amphoren hat vor allem statische (und praktische) Gründe. Erstens sind die Gärbehälter dann verräumt, zweitens sind sie maximal stabil, während sie in Gestellen oder auch liegend äußerst fragil sind. Sollte jemand vom ‚Geist der Weingartenerde’, von ‚Schwingungen’ oder ähnlichem erzählen, gehen sie davon aus, dass er das selbst nicht glaubt. Nicht in Georgien.
Der Chinuri von Gotsa ist jedenfalls ein extrem sauberer und geradliniger Weißwein, der aufgrund intensiven Kontakts mit den eigenen Beerenschalen, der Maische, auch eine entsprechend intensiv orange Farbe hat. Außerdem riecht und schmeckt er nach frischen Malven, Hagebutten, Pomelo-Schale und Hibiskus.
Saperavi x2, Georgien
Dann haben wir zwei Rote aus Georgien. Beide Weine der Sorte Saperavi sind blitzsauber vinifiziert, beide fruchtig ohne Ende.
Der eine allerdings,ist ein trockener, tiefgründiger Langstreckenläufer, der den Vergleich mit kompakten Weinen von der Côtes du Rhone nicht zu scheuen braucht. Unglaubliche Dichte und Länge, dabei der feinwürzige Grundton, der für die Rebsorte Saperavi so typisch ist.
Der andere, von der Großlage Kindzmarauli, ist für die Region typisch, den müsste man sich in unsren Breiten allerdings schöntrinken. Durch die wenig subtile Restsüße kommt der Wein wie eine überdimensionale Schaumrolle daher. Muss man mögen. Oder auch nicht.
Agiorgitiko 1000 Nights, Griechenland
Griechenland ist Bio-Land! Zumindest im Weinbau. Und Agiorgitiko, die Georgstraube, ist eine der roten Leitrebsorten im Land. So wie bei uns der Blaufränkisch oder in Italien der Sangiovese. Agiorgitiko ist in ganz Griechenland zu finden, seine Heimat sind allerdings Nemea und der Peloponnes. Die Weine (und das trifft auch auf den 1000 nights zu) sind extrem fruchtig, können, wenn es heiß wird, auch sehr konzentriert wirken. Trotzdem bringen kühle Winde vom Meer auch eine spannende Säure mit, die die an sich schweren und kräftigen Weine gut trinkbar machen.
Vieilles Vignes und Aux Chaignot, Nuits-Saint-Georges (2011 oder das Neue Testament)
Die Nuits-Saint-Georges-Weine sind DER Tipp, wenn man gerne Burgunder trinkt und dabei nicht pleitegehen will. Die burgundische Qualitätspyramide ist stark (oder eigentlich ausschließlich) vom Ort, der Herkunft, geprägt. Die Basis bildet dabei sogenannte „regionale“ Herkünfte, die teils recht große Gebiete des Burgund umfassen, je weiter man ins Land ‚reinzoomt’, desto hochwertiger werden die Appellationen und damit auch die Weine. Und die Preise steigen. Nach den regionalen Appellationen kommen die ‚villages’, die Gemeinde-Qualitäten.
Da gehört auch der Vieilles Vignes von Potel dazu. Ein extrem stoffiger, fein gewobener Pinot mit edel-erdigem Grundton und dezenter Note nach roten Früchten. Der Gerbstoff ist präsent, aber filigran und engmaschig.
Die nächst höhere Stufe ist der 1er Cru. Darüber gäbe es noch die Grand Crus, davon hat die Gemeinde Nuits-Saint-Georges aber keine. Also ist Potels ‚Aux Chaignot’ ein 1er Cru, und als Wein hat er alles, was auch der kleine Bruder, der vieilles vigne hat, nur von allem eine Spur mehr. Vor allem mehr Komplexität und Harmonie.
Nuits-Saint-Georges (1959, 1955 oder das Alte Testament)
Alte Weine werden anders verkostet, als die Teenager, die wir sonst im Glas haben. Die grundlegende Technik und ihre Werkzeuge sind dieselben. Nase, Gaumen, Konzentration, das Archiv unserer sensorischen Erinnerung. Was bei Weinen > 40 Jahre dazukommt, ist eine Prise Wohlwollen und Toleranz und eine (etwas kleinere) Prise Ehrfurcht und Respekt vor dem Alter. Beide Flaschen waren Händlerabfüllungen ohne spezifische Angabe der Herkunft. Außer das Dorf Nuits-Saint-Georges eben. Das muss nichts Schlechtes bedeuten. Im Gegenteil. Oft waren Händler im Burgund und in Bordeaux unterwegs und haben den Winzern die besten Fässer weggekauft. Daraus folgt, dass wir am Markt für Altweine heute mehr Händlerabfüllungen als Domaine-Abfüllungen haben, und meist sind sie auch in besserem Zustand.
Beide Weine hatten ausgezeichnete Füllstände (top shoulder), bei beiden Weinen war der Verschluss dicht, der Kork allerdings brüchig. Beide Weine kamen aus einem sehr guten bis ausgezeichneten Jahrgang, beide Weine haben allerdings die helle, rote Farbe bereits hinter sich und präsentierten sich in dunklem Mahagoni. Frischer und würziger stand der 1955er im Glas, immer noch von lebendiger Struktur, kecker Säure und getragen von einem Potpourri aus getrockneten Früchten, allen voran Datteln, Feigen. Dazu eine gehörige Portion Malzkaffee, Propolis und Schwarztee. In Summe ein Erlebnis besonderer Art.
Voodoo Jürgens. Zwara Vasn – Grüner Veltliner, Burgenland
Den Barden, bzw. seine Musik habe ich in Zusammenhang mit Wein kennengelernt. Einige junge Winzer vom Eisenberg, ein sensationelles Lokal im Südburgendland, ein paar Journalistenkollegen aus Deutschland und ein südburgenländischer Sommelier, der nach Berlin ausgewandert ist und dort lange in einer der angesagtesten Weinbars der Stadt stand. An jenem Abend stand er mit einer Magnum in der Hand am Tisch und tanzte zu ‚Heite grob ma Tote aus’. Die Weinbauern sangen dazu. Von dem Zeitpunkt war die CD „Ansa Woar“ Teil meiner Playlists. Auf der heurigen ProWein habe ich durch Zufall die „Zwara Vasn“ entdeckt. Einen überraschend (wegen der Ausstattung) guten Grünen Veltliner in Umstellung auf Biologischen Weinbau aus Purbach. Die Flasche ist ein flashback in die eigene Kindheit. Am Dienstagvormittag kam der Eiermann und brachte die Eier, am Freitag kam der Weinmann und brachte den Wein. Damals im Doppler, das Etikett klein, quer, knapp unterm Flaschenhals. Sorte, Weinbauer. Sonst nichts. Hat aber gereicht. Zumindest bis zum nächsten Freitag. Jetzt also wieder. Grüner Doppler, Kronenkork. Die Zalto-Verkostungsgläser wollten nicht so recht passen. Aber irgendwie doch, weil der Wein selbst so großartig ist. Als Veltliner eine sortentypische Zierde seiner Art. Kräftig, hoher Trinkspaßfaktor.
Thema: Mutig und Gut – Bio-Weinverkostung zum Georgitag, #biodreinull Tasting_forum 78
Termin: Montag, 23. April 2018; 18.30 Uhr
Ort: Punkt 404, 1050 Wien
Impuls und Begleitung: Jürgen Schmücking (Wort.Bild.Bio), Reinhard Geßl (Freiland Verband), Elisabeth Klingbacher (FiBL)
Die Bio-Lebensmittelverkostungsserie „Tasting_forum“ wird im Rahmen des Projekts „Bio 3.0 – Neue Wege zu mehr Bio“ mit Mitteln von Bund, Ländern und Europäischer Union finanziell unterstützt. Gemäß den Fördervorgaben dürfen wir keine einzelbetriebliche Werbung machen. Wenn Sie ein persönliches Interesse an den Details dieses Verkostungsflights haben, schicken wir Ihnen diese gerne per Mail zu. Bitte an: office(at)freiland.or.at
Medienkooperationspartner: Biorama
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