
Systematisch zu mehr Bio – Ein Projektzwischenbericht
Das mehrjährige Projekt Systematisch zu mehr Bio wurzelt in der These, dass Systemisches Denken eine der Schlüsselkompetenzen für zukünftige BiokonsumentInnen ist. Diese Kompetenz ermöglicht den KonsumentInnen wichtige Erfahrungen und Einsichten.
Die internationale Vereinigung biologischer Landbauorganisationen (IFOAM Organic International) hat auf der Fachmesse Biofach 2014 einen breiten Diskussionsprozess für eine biologische Landwirtschaft 3.0 – jenseits der aktuellen Marktnische für Bio-Lebensmittel – angestoßen. Diese Diskussion um Bio 3.0 zeigt: Obwohl Bio-Lebensmitteln in Österreich und anderen westlichen Industrieländern bei Marktforschungen in der Regel eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz bescheinigt wird, klaffen Kaufabsicht und tatsächliches Kaufverhalten immer noch weit auseinander. Dieses als ‘Green Gap‘, ‘Mind-Behavior Gap‘ oder ‘Value-Action Gap‘ bekannte Verhalten spielt nicht nur für Bio sondern für den gesamten Nachhaltigkeitsbereich eine wichtige Rolle. Forschungsergebnisse und Bildungsinitiativen konnten zur Veränderung dieses Verhaltens bisher nur wenig beitragen.
Die unterschiedlichen Ursachen seitens der KonsumentInnen, welche verantwortlich sind, dass Bio nicht aus der Nische kommt, lassen sich vereinfacht am Nachhaltigkeitsdreiklang ‘Effizienz, Konsistenz und Suffizienz‘ wie folgt zusammenfassen.
Effizienz:
Bio-Lebensmittel genießen bei vielen KonsumentInnen ein positives Image als besonders nachhaltige und ressourcenschonende Form der Landwirtschaft. Der Wachstumsmarkt Bio 2.0 hat jedoch die Bio-ProduzentInnen vor die schwierige Aufgabe gestellt, immer mehr Ware in Top-Qualität zu möglichst günstigen Preisen zu produzieren. Die dazu nötigen Effizienzstrategien weichen zunehmend von den Vorstellungen der KonsumentInnen ab. Es gibt eine wachsende Kluft zwischen dem Bio-Image der Werbewelt und der bäuerlichen Realität.
Suffizienz:
Das Bild des/der aktiven Biokonsumenten/in von Bio 1.0 wich zusehends einer breiten Schar ‘passiver‘ KonsumentInnen von Bio 2.0, die Bio-Lebensmittel in ihr gewohntes konsumistisches Verhalten integrieren. Hochpreisige Bio-Lebensmittel lassen sich jedoch mit einem konsumistischen Verhalten, in dem Konsumverzicht ein Tabuwort ist, nur für eine begrenzte, wohlhabende KonsumentInnenschicht leicht vereinbaren. Sollen aber letztendlich alle KonsumentInnenschichten am Biokonsum teilhaben, setzt dies neue Suffizienzkonzepte voraus. Neue Maßstäbe wie freiwillige Selbstbegrenzung beim Konsum oder Entschleunigung des Lebensalltags müssen für das persönliche Lebensglück entdeckt werden, damit Bio leistbar wird.
Konsistenz (hier im Sinne von Geschlossenheit, Widerspruchsfreiheit):
In den letzten Jahrzehnten übernahmen die großen Handelsketten die Themenführerschaft für Bio. Ihre Kommunikationsstrategien verstehen sich als Teil des Marketing. Erfolgreich steigerten sie den Bio-Absatz. Als modernes Lifestyle-Produkt schufen sie eine neue Nische im Lebensmittelhandel im Premiumsegment. Keine neuen Weltbilder wurden gelehrt, sondern vorherrschende Denkmuster und Konsumverhalten benützt und gefestigt.
Mit dem Anspruch von Bio 3.0, die Nische zu verlassen, um ein ‘Bio für alle‘ zu werden, bedarf es neuer Suffizienzstrategien der KonsumentInnen, wie oben erwähnt. Somit stellt sich die Frage, in welcher Weise die Wirtschaft und die Politik diesen schwierigen Transformationsprozess jedes einzelnen Konsumenten, jeder einzelnen Konsumentin, unterstützen wird. Ohne neue Konsistenzstrategien wird die Vision Bio 3.0 nur schwer in die Realität umsetzbar sein.
Schlüsselkompetenz: Mit systemischem Denken systematisch zu mehr Bio
Das Projekt ‘System(at)isch zu mehr Bio‘ wurzelt in der These, dass Systemisches Denken eine der Schlüsselkompetenzen für zukünftige BiokonsumentInnen ist. Diese Kompetenz ermöglicht den KonsumentInnen wichtige Erfahrungen und Einsichten:
- Den multiplen Mehrwert von Bio-Lebensmittel besser verstehen.
- Den Zusammenhang zwischen dem eigenen Kaufverhalten, den persönlichen Einstellungen und den gesellschaftlichen Mustern und Trends herstellen.
- Die Verbindung zwischen Kaufabsicht und tatsächlicher Alltagsroutine erkennen.
- Den Zusammenhang zwischen Suffizienzstrategien sowie praktischen Fertigkeiten zur Bewältigung von Alltagsroutinen als Voraussetzung für leistbaren Biokonsum entdecken.
- Gesellschafts- und wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen erkennen, die den eigenen Transformationsprozess im Sinne neuer Suffizienzstrategien derzeit noch behindern und den einfachen Erwerb von Bio-Lebensmitteln im Rahmen der Alltagsroutine erschweren.
Mit Biokonsum-Literacy zum neuen Consumer Citizen werden
Durch die Kompetenz des Systemischen Denkens, so die These, erhalten weitere Konsumentenschichten eine neue Biokonsum-Literacy, die sich nicht ausschließlich auf den sogenannten „strategischen Konsum“ beschränkt. Die neue Biokonsum-Literacy führt zu einem neuen Selbstverständnis als ‘KonsumbürgerIn’ (Consumer Citizen). Als aktive KonsummentInnen übernehmen sie Verantwortung durch neue Suffizizienstrategien. Als aktive BürgerInnen fordern sie Verantwortung von der Politik und der Wirtschaft. Denn der schwierige Transformationsprozess zu mehr Suffizienz und dem nachhaltigen Konsum von Bio-Lebensmitteln braucht einen Abbau von Barrieren und eine Förderung, die die KonsumentInnen in ihren Alltagsroutine bestmöglich unterstützen.
Systemkompetenzen am Beispiel Bio erwerben
Neue Systemkompetenzen können am Beispiel Bio-Lebensmittel und Bio-Konsum von Kindern und Jugendlichen aller Altersstufen mit den entsprechenden Systemkonzepten und Systemwerkzeugen erlernt werden. Bio-Lebensmittel verkörpern das erfolgreichste Produkt im Bereich der Nachhaltigkeit. Lebensmittel gehören zu den unverzichtbaren Konsumgütern des täglichen Gebrauchs und spielen darüber hinaus noch eine wichtige soziokulturelle Rolle. Systemkompetenzen gesellschaftlich zu etablieren, heißt jedoch langfristige Ziele im Bildungssystem zu definieren, wenn sie tatsächlich Einfluss auf Weltbilder und Wertevorstellungen der KonsumentInnen von morgen nehmen sollen. Eine ungewohnte Vorstellung für eine Gesellschaft, die sich vorrangig über kurzfristige Erfolgsnachweise definiert. Das vorliegende Projekt kann daher nur als Impulsgeber und Wegbereiter für weitere Projekte im Bildungsbereich verstanden werden.
Herausforderung im Unterricht
Die vorliegende Studie verortet einerseits das Projekt Systematisch zu mehr Bio in der aktuellen Diskussion um Bio 3.0, um dessen Legitimation daraus abzuleiten. Andererseits skizziert es jene Werkzeuge und Konzepte, die zur praktischen Anwendung im Unterricht als besonders geeignet erscheinen. Und letztendlich gibt das letzte Kapitel in der Studie einen Ausblick für eine erste mögliche Umsetzungsvariante im Unterricht. Die größte Herausforderung in der praktischen Umsetzung im Unterricht liegt vor allem darin, die Verbindung zwischen Systemischen Denken, Bio-Lebensmitteln und der Alltagsrealität der Kinder und Jugendlichen herzustellen. Bekannterweise spielt der Einkauf von Nahrungsmitteln, im Besonderen Grundnahrungsmitteln, für Kinder und Jugendliche kaum bis gar keine Rolle. Damit stellt sich die Frage, wie durch persönliche Betroffenheit im Unterricht dennoch jener berühmte Knopf im Taschentuch bei den jungen Menschen entstehen kann, der sie zur rechten Zeit wieder an die systemischen Zusammenhänge erinnert, wenn sie als erwachsene KonsumentInnen und BürgerInnen mit den Entscheidungen des eigenen Lebens- und Konsumstils erneut konfrontiert werden.
Download Zusammenfassung Systematisch zu mehr Bio – erster Zwischenbericht
Rückfragehinweis:
Mag. Lothar Greger (FiBL, lothar.greger@fibl.org, +43/(0)1/9076313-35),
Dipl.-Ing. Reinhard Geßl (Freiland Verband, reinhard.gessl@biodreinull.at, +43/(0)1/4088809)
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